Der Paritätische NRW

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Eine Frau, die Kopftuch trägt und ein Kind auf dem Schoß hat, sitzt einer anderen Person gegenüber und lächelt.

Flüchtlingsberatung in NRW: Zwischen Rechtsverschärfungen und Menschenrechten für Geflüchtete

Die unabhängige Rechtsberatung für Geflüchtete in Nordrhein-Westfalen steht zunehmend unter Druck – sowohl durch politische Reformen als auch durch eine prekäre finanzielle Förderung durch das Land. Beim diesjährigen Fachtag „Beraten. Schützen. Handeln. Wenn politische Reformen auf persönliche Geschichten treffen“ machten über 100 Fachkräfte aus Beratung, Politik und Verwaltung deutlich: Der Zugang zum Recht darf nicht vom Haushalt abhängen. Die unabhängige Beratung ist Teil des Förderprogramms „Regionale Beratung für Geflüchtete in NRW“. 44 der regionalen Flüchtlingsberatungsstellen in Nordrhein-Westfalen sind in Trägerschaft von Mitgliedsorganisationen des Paritätischen NRW.

Rechtsberatung ist systemrelevant

„Rechtsberatung ist systemrelevant – sie ist ein zentrales Instrument zum Schutz der Demokratie“, betonte Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats bei dem Fachtag. Er machte zu dem deutlich: „Wer Rechtsschutz abbaut, schwächt den Rechtsstaat selbst. Gerade in Zeiten zunehmender Polarisierung braucht es starke, unabhängige Strukturen, die Menschen auf der Flucht unterstützen und zugleich das Vertrauen in demokratische Institutionen stärken.“

Zunehmend unter Druck

Die Veranstaltung zeigte eindrucksvoll, dass die Beratungsstellen zwischen komplexen Fallberatungen, politischen Verschärfungen und knapper Finanzierung zunehmend unter Druck geraten – und dennoch mit großer Fachlichkeit und Zusammenhalt agieren. „Unsere tägliche Arbeit steht im Spannungsfeld zwischen politischem Tempo bei der Verschärfung von Gesetzen und den individuellen Lebensgeschichten von Menschen auf der Flucht“, sagte Stephan Böhmer, Vertreter der überregionalen Fachstelle im Landesprogramm Regionale Beratung von Geflüchteten in NRW. „Der Fachtag hat gezeigt, wie wichtig unabhängige, menschenrechtsorientierte Beratung gerade jetzt ist, um den Zugang zum Recht zu ermöglichen“, so Böhmer weiter.

Weiterentwicklung der Beratungsstruktur

Eröffnet wurde der Fachtag durch Ministerin Josefine Paul, NRW-Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW (MKJFGFI). In ihrem Grußwort stellte sie die Perspektiven für die Weiterentwicklung der Beratungsstruktur vor und betonte die Pläne zur gesetzlichen Verstetigung der Flüchtlingsberatung. Dabei hob sie hervor, dass es eine verlässliche, landesweite Struktur braucht, die geflüchteten Menschen den Zugang zu ihren Rechten sichert. Dafür wolle sie gemeinsam mit den Trägern tragfähige Lösungen entwickeln.

Kontroverse Diskussion

Die anschließenden Fachvorträge und die weitere Podiumsdiskussion beleuchteten aktuelle Reformvorhaben wie die Einführung der Bezahlkarte, die Ausweitung von Abschiebehaft, die Aussetzung des Familiennachzugs und die zukünftigen Förderbedingungen für das Förderprogramm „Regionale Beratung von Geflüchteten“. Besonders kontrovers diskutierten Mustafa Kurt von der Diakonie Solingen, Claudius Voigt von der GGUA, Mitgliedsorganisation im Paritätischen NRW, und Sebastian Rose vom Komitee für Grundrechte die sozialen und menschenrechtlichen Konsequenzen dieser Entwicklungen mit Ministerin Paul. Die Rahmenbedingungen der Förderstruktur waren Thema einer Diskussion mit Aslı Sevindim, Abteilungsleiterin Integration des MKJFGFI. Sevindim hob hervor, dass sie offen sei für Kritik, die einer Verbesserung des Programms und der Verfahrensabläufe diene. Eine direkte Adressierung ihrer Abteilung sei immer möglich. Lisa Bleckmann vom Verein für soziale Arbeit und Kultur Südwestfalen (VAKS)  argumentierte, dies sei nicht die originäre Aufgabe der Beratenden, die eine hochqualifizierte Beratung anbieten. Es sei eher Aufgabe der Träger, den direkten Kontakt zum Ministerium herzustellen und die Herausforderungen anzusprechen.

Kein Luxus, sondern Grundbedingung

Einen wissenschaftlich fundierten Blick auf die rechtlichen Grundlagen bot Prof. Dr. Marei Pelzer (Universität Frankfurt) in ihrem Vortrag zur „Relevanz unabhängiger rechtlicher Beratung“. Sie erinnerte daran, dass der Zugang zu qualifizierter Rechtsberatung eine Voraussetzung für effektiven Rechtsschutz und gelebte Demokratie sei: „Rechtsberatung ist kein Luxus, sondern Grundbedingung des Rechtsstaats. Nur wer seine Rechte kennt, kann sie auch wahrnehmen – das gilt besonders für Menschen im Asylverfahren.“

Reformprozesse nicht zulasten der Menschen

Das Fazit des Fachtags: Reformprozesse dürfen nicht zulasten des Rechtsschutzes und der Menschenwürde von Geflüchteten gehen. Das Netzwerk der Regionalen Beratungsstellen kündigte an, den Dialog mit dem Ministerium fortzusetzen und sich weiterhin für eine nachhaltige, menschenrechtsorientierte Beratungsstruktur einzusetzen.

Über das Landesprogramm

Das Landesprogramm „Regionale Beratung von Geflüchteten in NRW“ stärkt seit 1997 die unabhängige und qualifizierte Flüchtlingsberatung. Es wird vom NRW-Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW gefördert und durch die freien Träger und Wohlfahrtsverbände umgesetzt. Der Fachtag 2025 wurde von den überregionalen Fachstellen organisiert und diente der Vernetzung, Weiterbildung und politischen Positionierung der Beratungslandschaft in NRW. Eine der fünf überregionalen Fachstellen ist beim Verein VAKS angesiedelt.