Der Paritätische NRW

Navigation

Eine Frau mit langen Haaren überquert eine Straße.

Ein Jahr Gesetz gegen Gehsteigbelästigungen: Schutz ungewollt Schwangerer bleibt lückenhaft

Seit November 2024 ist das Gesetz gegen Gehsteigbelästigungen in Kraft. Es soll ungeplant Schwangere auf dem Weg zur Beratung vor Einschüchterung und Druck schützen: Innerhalb eines 100-Meter-Radius rund um Beratungsstellen sind belästigende oder beeinflussende Aktionen verboten. Nach einem Jahr zieht pro familia NRW, Mitgliedsorganisation im Paritätischen NRW, eine grundsätzlich positive Bilanz, sieht aber aufgrund einiger Lücken in der Praxis Nachbesserungsbedarf.

Besonderer Schutz ist wichtig

„Das Gesetz gegen Gehsteigbelästigungen ist ein Schritt in die richtige Richtung“, erklärt Rita Kühn, Geschäftsführung von pro familia NRW. „Ungewollt Schwangere haben endlich einen rechtlichen Anspruch darauf, auf dem Weg zur Beratung nicht bedrängt oder unter Druck gesetzt zu werden. Gerade in einer Krisensituation brauchen Betroffene besonderen Schutz. Das gilt vor allem, weil die Beratung vor dem Schwangerschaftsabbruch gesetzlich verpflichtend ist.“

Schwachstellen werden ausgenutzt

Allerdings zeige die Praxis, dass es weiterhin Lücken gebe. „Das Gesetz hat Schwachstellen, die von Abtreibungsgegner*innen ausgenutzt werden“, so Kühn weiter. „Auch ein vermeintlich stilles Beten oder Singen sowie das Zeigen religiöser Zeichen sendet eine eindeutige Botschaft an ungewollt Schwangere und kann auf diese einschüchternd wirken. Da diese Handlungen vom Gesetz aber nicht ausdrücklich benannt werden, gelten sie nicht überall als Belästigung, so wie ein Richterspruch in Regensburg im Oktober gezeigt hat. Hier muss der Gesetzgeber unbedingt nachbessern. Das gilt umso mehr, weil fundamentalistische Gruppen ihre Aktivitäten gegen Schwangerschaftsabbrüche zuletzt verstärkt haben.“ Eine weitere Lücke betrifft Demonstrationen an Tagen, an denen Beratungsstellen geschlossen sind. „In einigen Städten, auch in NRW, demonstrieren Abtreibungsgegner*innen am Wochenende oder Feiertagen weiterhin in direkter Nähe zu Beratungsstellen ohne Beachtung der Abstandsregel, weil dort dann keine Ratsuchenden empfangen werden. Dennoch prägen sie mit diesen Aktionen das städtische Bild um die Beratungsstelle und machen den Ort für Ratsuchende potenziell bedrohlich.“

Pflichtberatung abschaffen

Grundsätzlich fordert pro familia, die Pflichtberatung vor dem Schwangerschaftsabbruch abzuschaffen und durch ein gesetzlich verankertes Recht auf Beratung zu sexuellen und reproduktiven Themen zu ersetzen. In jedem Fall jedoch müssten Ratsuchende und Mitarbeitende geschützt werden. „Sexuelle und reproduktive Rechte sind Menschenrechte“, erläutert Kühn. „Und alle Menschen sollten diese Rechte wahrnehmen können.“