Die Schule startet – aber nicht für alle Kinder
Das Menschenrecht auf Bildung muss für alle geflüchteten Kinder gelten
Wuppertal, 08.08.2022
Die Sommerferien neigen sich dem Ende zu, am Mittwoch geht es wieder los in den Schulen in NRW. Doch hingehen dürfen nicht alle. „Geflüchtete Kinder und Jugendliche in den Landeseinrichtungen fallen hinten runter, ihnen werden Bildungschancen in Schulen und Kitas systematisch verwehrt“, so Christian Woltering, Landesgeschäftsführer des Paritätischen NRW.
„Sechs Monate und darüber hinaus Isolation in den Einrichtungen, das verstößt gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Und es wirkt einer gelungenen Integration entgegen. Wir appellieren daher an das Land NRW, alles in die Wege zu leiten, um geflüchteten Minderjährigen im schulpflichtigen Alter umgehend nach ihrer Ankunft den Besuch der Regelschulen zu ermöglichen.“
Zwar gilt auch in NRW die Schulpflicht, doch greift sie laut NRW-Schulgesetz erst mit Zuweisung der Geflüchteten an die Kommunen. Und das kann dauern, wie der Blick auf die Zahlen der Landesregierung zeigt: Im September 2021 waren von 3.112 minderjährigen Geflüchteten, die in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes NRW untergebracht sind, 656 bereits länger als drei Monate dort. 21 Kinder und Jugendliche sind länger als ein halbes Jahr in den Landeseinrichtungen, davon drei Kinder seit mehr als einem Jahr. „So kann das nicht weitergehen, diese politisch verordnete soziale Ausgrenzung und gesellschaftliche Isolation verstößt gegen die Menschenrechte.“ Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention 2010 vollständig ratifiziert. Doch sie muss auch umgesetzt werden.
Sehr schnell hat das Ministerium für Schule und Bildung der Landesregierung NRW im April 2022 ein umfassendes Rahmenkonzept zur Beschulung neuzugewanderter Kinder und Jugendlicher erstellt, welches der besonderen Situation der Kinder aus der Ukraine Sorge trägt, was sehr begrüßenswert ist. „Unkomplizierte und bedarfsgerechte Hilfen, frühe Angebote der Integration. All das fordert auch der Paritätische NRW seit Jahrzehnten für neu zugewanderte und geflüchtete Menschen. Aber eben für alle, unabhängig vom Herkunftsland!“, so Woltering. Zahlreichen geflüchteten Kindern und Jugendlichen in NRW, die ebenso im schulpflichtigen Alter und vor (Bürger-)Kriegen, Gewalt, Verfolgung geflohen sind, kommen diese Möglichkeiten des sicheren Ankommens inklusive umfassender Bildungschancen nicht zuteil. Und das obwohl auch sie dringend förderliche Lebensbedingungen, eine stabile Tagesstruktur, sichere Orte und in vielen Fällen psychologische Unterstützung benötigen. Der Unterschied: Sie kommen aus anderen Herkunftsländern und leben in Landesunterkünften für Asylsuchende in NRW.
„Die neue NRW-Landesregierung hat einen Paradigmenwechsel bei der Unterbringung und Versorgung von allen Geflüchteten angekündigt. Chancengerechtigkeit, Menschenrechte und gelebte Humanität sollen im Mittelpunkt der Integrations-, Migrations- und Flüchtlingspolitik stehen. Dies begrüßen wir sehr und appellieren an die NRW-Landesregierung, allen Minderjährigen nun umgehend einen diskriminierungsfreien und gleichberechtigten Zugang zu Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zu ermöglichen. Dass geflüchteten Kindern und Jugendlichen grundlegende Rechte aus migrationspolitischen Gründen abgesprochen werden, muss endlich ein Ende haben!“, erklärt Woltering.
Schulpflicht in NRW: der rechtliche Hintergrund
In konsequenter Umsetzung des Rechtes auf Bildung müsste die Schulpflicht vom ersten Tag an gelten und nicht erst mit der Zuweisung von geflüchteten Minderjährigen und ihren Familien in eine Gemeinde, wie es das Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen in § 34 Abs. 6 vorsieht. „Jedes Kind hat Anspruch auf Erziehung und Bildung“ heißt es in Artikel 8 der Landesverfassung. In Verbindung mit den Vorgaben aus Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention muss mit Blick auf das Kindeswohl und die Rechte von Kindern und Jugendlichen ihr Recht auf Schulbildung und Beschulung in einer Regelschule ermöglicht werden. Ein Beschluss des Verwaltungsgerichtes München zeigt, dass sich die Beschulung von Kindern auch verwaltungsgerichtlich durchsetzen lässt. Das Verwaltungsgericht München (Beschluss vom 8. Januar 2018, Az. M E 3 E 17.5029, M 3 E 17.4737, M 3 E 17.4801) hatte in drei Eilverfahren Kindern das Recht zugesprochen, am Regelschulbesuch teilzunehmen.
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